Top
Diskussionsveranstaltung zum EU-Projekttag am Gymnasium Corveystrasse

Im Namen des Volkes? Populismus in der Europäischen Union

EU-Projekttag am Gymnasium Corveystrasse

Warum sollte man sich mit dem Thema Populismus in der EU beschäftigen?

In der Europäischen Union schwingen sich zunehmend Rechtspopulisten zu vermeintlichen Vertretern des Volkes auf, indem sie nationale Interessen gegen das europäische Einigungsprojekt stellen. In Frankreich wählte bei der Präsidentschaftswahl mehr als ein Drittel der Franzosen die Kandidatin Marine Le Pen vom Front National. Diese und andere einflussreiche rechtspopulistische Bewegungen drohen weiterhin die Grundfesten der Nachkriegsordnung zu untergraben:

Sie schüren Zweifel daran, dass EU-Politiker im Sinne der EU-Bürger gemeinwohlorientiert handeln. Die repräsentative Demokratie gründet auf der Idee, dass professionelle Volksvertreter am besten einschätzen können, welche politische Entscheidung das Gemeinwohl insgesamt fördert. Was für Konsequenzen ergeben sich, wenn nun Rechtspopulisten dieses Vertrauen der Bürger in die politischen Eliten immer „erfolgreicher“ in Frage stellen können?

Rechtspopulisten nutzen den Nationalstaat als Rahmen für politische Entscheidungen. Der Ruf nach nationaler Souveränität würde bedeuten, dass die europäische Integration zurückgeschraubt und viele Politikbereiche – etwa die Währungspolitik oder Grenzsicherung – ausschließlich im nationalen Rahmen reguliert werden. Doch lässt sich im 21. Jahrhundert – in Zeiten von globalisierter Ökonomie, Digitalisierung, Automatisierung und grenzüberschreitender Arbeitsteilung – Politik wirklich erfolgreicher innerhalb von Nationalstaaten betreiben?

Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich der Profilkurs „Medien und Gesellschaft“ in einem zweitägigen Szenarioworkshop vom 08.-09.05. mit der zukünftigen Entwicklung der Europäischen Union in Zeiten wachsenden Rechtspopulismus. Der Szenarioworkshop wurde von den Referenten Herrn Dr. Mehlhausen und Herrn Dr. Kuder durchgeführt

Warum Szenarien?

Die Szenario-Technik bietet als professionelle Methode die Gelegenheit, sich kreativ und interaktiv mit Zukunft auseinander zu setzen. Die von den SchülernInnen entworfenen Szenarien bildeten facettenreiche Geschichten über mögliche „Zukünfte“, die alternative Entwicklungspfade von heute bis in das Jahr 2035 skizzieren. Die SchülerInnen entwarfen in dem Workshop vier Rahmenszenarien, die anschaulich, glaubwürdig und neuartig zugleich waren.

Die Ergebnisse präsentierten sie anschließend auf einer Veranstaltung vor den Schüler/innen der 10 Klassen des Corveys. In einer kurzen szenischen Darbietung wurden fiktive „Lebensentwürfe“ aufgeführt, die den Alltag in jenen alternativen „Zukünften“ lebensnah veranschaulichten. Vor diesem Hintergrund gab es danach eine gemeinsame Diskussion zwischen den SchülerInnen des Profils, dem Schulleiter Herrn Krümel, dem Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft Herrn Schumacher von der SPD und den Gästen der Veranstaltung, den SchülerInnen der 10. Klassen. Der Schwerpunkt der Diskussion lag darauf, welche Möglichkeiten sich vor dem Hintergrund der erarbeiteten Szenarien für unser gegenwärtiges Handeln in Deutschland und der Europäischen Union ableiten lassen.

In welche Richtung könnte sich die EU unter dem Einfluss des Populismus entwickeln?

Zukunftsraum 1: Die Vereinigten Staaten von Europa

Die Gefahren und Auswirkungen populistischer Entwicklungen inner- und außerhalb der EU führen zur Einsicht, dass eine wirtschaftliche und politische Vertiefung unabdingbar ist, um das Gemeinschaftsprojekt auf eine neue Grundlage zu stellen. Das Ergebnis ist ein Staatenbund unter Führung einer gemeinsamen EU-Regierung, der für mehr politische Stabilität sorgt und die Handlungsfähigkeit der EU im globalen Rahmen stärkt.

Zukunftsraum 2: Das Europa der Vaterländer

Die nationalen Interessen setzen sich zunehmend gegenüber den gemeinschaftlich orientierten EU-Interessen durch. Populisten übernehmen in einer Vielzahl von Staaten die politische Führung und versuchen, für ihre Einzelstaaten das Bestmögliche herauszuholen. Die Konkurrenz und das Misstrauen zwischen den EU-Staaten nimmt zu. Separatistische Bewegungen nutzen die Gunst der Stunde, um sich von ihren Mutterstaaten unabhängig zu machen, regionale Konflikte wie z. B. in Katalonien oder in Irland flammen wieder auf. Es kommt zur militärischen Aufrüstung, Grenzen werden geschlossen, Protektionismus macht sich breit. Das Einigungsprojekt ist auf ein Minimum an Gemeinschaft geschrumpft.

Zukunftsraum 3: Die EU als Elitenprojekt

Im Zuge des aufkommenden Populismus in der EU kommt es zu einer Entfremdung zwischen den Bürgern und den EU-Politikern. Die Zweifel an der Gemeinwohlorientierung der EU und den Fähigkeiten der politischen Elite führt zu einer Abwendung der Bevölkerung vom Gemeinschaftsprojekt. Die politische Elite möchte das EU-Projekt trotz der Politikverdrossenheit der Bürger weiterführen und versucht insbesondere durch die mediale Einflussnahme das Volk umzustimmen. Die EU bleibt ohne den notwendigen Rückhalt des Volkes ein Prestigeprojekt der Politiker, ohne Chance auf die Möglichkeit einer umfassenden Erweiterung oder Vertiefung.

Zukunftsraum 4: Die EU als Bewegung von unten

Populisten setzen sich national und auf EU-Ebene durch und kommen in die Regierungsverantwortung. Ihre Wahlversprechen können sie nicht einlösen, sie scheitern auf ganzer Linie, die EU stürzt in eine wirtschaftliche und politische Krise. Angesichts der Unfähigkeit der Populisten, den Politikbetrieb sachgerecht aufrechtzuerhalten, schwindet das Vertrauen der Bürger so sehr, dass eine zivile Bewegung entsteht, die die Ziele und Werte der EU gegen den Wiederstand der populistischen Regierungskreise wiederbeleben möchte. Es erfolgt eine Rückbesinnung und Vertiefung auf das europäische Gemeinschaftsprojekt.

Was waren die Eindrücke der SchülerInnen zum Szenarioworkshop?

„Mir hat gefallen, dass das Thema Populismus in einem größeren Zusammenhang behandelt wurde, man diesen Begriff erst einmal richtig verstehen musste. Das Entwerfen der vier Zukunftsmodelle war eine Herausforderung.“

„Ich fand es sehr spannend, mich mit der Zukunft auseinanderzusetzen, besonders da Europa mein späteres Leben aktiv betrifft. Das Arbeiten in der Gruppe hat viele tolle Ideen hervorgebracht, trotzdem war es teilweise eine Herausforderung sich zu einigen oder eine gemeinsame Organisation zu finden.“

„Ich habe für mich mitgenommen, dass man die Zukunft immer noch lenken und in viele verschiedene Richtungen entwickeln kann, je nachdem wie wir heute in der Gegenwart handeln.“

„Ich fand die Szenario-Methode total hilfreich. Man wurde sozusagen gezwungen, sich in die Zukunft hineinzuversetzen und hat sich dadurch deutlich intensiver damit befasst. Die Tatsache, dass uns so viel Freiraum im Format gelassen wurde und dass wir es dadurch sehr individuell gestalten konnten, hat dem Ganzen Spaß verliehen, wodurch die Motivation deutlich erhöht wurde, auch wenn man das Thema anfangs nicht so ansprechend fand.“

„Ich nehme aus dem Workshop und der Diskussion mit, ein größeres Bewusstsein für die EU zu bewahren und auch die positiven Aspekte der EU wertzuschätzen. Ich habe auch verinnerlicht, dass die bisherige Lage der EU nicht garantiert ist und dass sich diese Lage zukünftig stark verändern kann.“

„Ich finde die Szenariomethode ist ein sehr interessantes Verfahren. Falls sich die Gelegenheit bietet, werde ich die Methode auch selber anwenden, da sie sehr gut ist, um sich auf schwierige Situationen vorzubereiten.“

Impressionen zum EU-Projekttag