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Stellungnahme zu „Portalen für Neutralität an Schulen“

Die Schulgemeinschaft des Gymnasiums Corveystraße hat sich aus aktuellem Anlass mit dem Thema der „Neutralität an Schulen“ auseinandergesetzt und wie man damit umgehen sollte, wenn Schüler*innen anonym Lehrer*innen melden können, die sich im Unterricht und in der Schule politisch nicht neutral verhalten würden. Mit sehr großer Mehrheit vertreten das Lehrerkollegium, der Schülerrat und der Elternrat diesbezüglich folgende Position:

In Hamburg sind gesellschaftspolitische Bestrebungen sichtbar, durch die Schaffung von Informationsportalen für „Neutralität an Hamburger Schulen“ sorgen zu wollen. Durch dieses Vorgehen solle die staatliche Indoktrination an deutschen Schulen eingeschränkt und im Klassenzimmer die Meinungsbildung wieder in den Mittelpunkt des unterrichtlichen Handelns gerückt werden. Solche Meldeportale bieten eine Möglichkeit, Lehrer*innen zu melden, bei denen der Eindruck bestehe, dass sie sich im schulischen Rahmen politisch nicht neutral verhielten.

Die Gründer solcher Portale verweisen bei ihrem Vorgehen auf den sogenannten „Beutelsbacher Konsens“, der es Lehrer*innen verbiete, Schüler*innen ihre Meinung aufzuzwingen und sie zu indoktrinieren. Daraus leite sich ab, dass Lehrer*innen sich im Unterricht wertneutral zu verhalten hätten und politisch nicht äußern dürften.

Solche Annahmen zum Beutelsbacher Konsens sind offensichtlich missverständlich ausgelegt worden und vernachlässigen dabei, dass der schulische Bildungsauftrag gezielt an den Werten des Grundgesetzes ausgerichtet ist und die Lehrer*innen somit angehalten sind, den Schüler*innen freiheitliche und demokratische Grundwerte zu vermitteln. Die Neutralität verbietet es sicherlich, an Schulen parteipolitisch-weltanschauliche Werbung zu betreiben, aber nicht, dass sich Lehrer*innen kritisch mit den Positionen aller Parteien im Unterricht auseinandersetzen.

Wenn nun Personen des politischen Lebens, darunter eben auch die Gründer solcher Portale, öffentlich die nationalsozialistische deutsche Vergangenheit relativieren und die deutsche Erinnerungskultur herabwürdigen, wenn in Deutschland lebende Ausländer*innen gezielt verunglimpft werden und Politiker*innen bewusst diffamiert werden, dann wird sehr deutlich, dass hier diskriminierende und rassistische Motive vorhanden sind. Allein schon durch ihren Amtseid sind die Lehrer*innen dazu verpflichtet, solche Positionen im Unterricht kritisch zu thematisieren.

Es entsteht der Eindruck, dass die Gründer solcher Portale vielmehr versuchen, den kritischen Umgang mit der eigenen Position im Unterricht einzuschränken bzw. verhindern zu wollen. Vor dem Hintergrund möglicher Gefahren, die mit solchen Portalen einhergehen können, z. B. drohende Disziplinarverfahren, persönliche Rufschädigung oder die Stigmatisierung von Schulen, können Schulgemeinschaften zunehmend unter Druck gesetzt und eine Atmosphäre der Angst geschaffen werden, die eine kontroverse Diskussion im Unterricht, wie sie explizit im Beutelsbacher Konsens gefordert wird, zunehmend erschwert, wenn nicht gar verhindert. In der Gründung solcher Portale kann also der Versuch gesehen werden, gesellschaftskritische Diskussionen zu behindern und politisch Andersdenkende einzuschüchtern.

Andersherum ließe sich fragen, wie ernst die Gründer solcher Portale das Gebot der Neutralität selbst nehmen, wenn sie sich eigenmächtig als Kontrollorgan zur Einhaltung von Recht und Gesetz inszenieren. Wie neutral ist es, wenn solche Portalgründer die an sie gesandten Meldungen selbst kontrollieren und nach eigenem Ermessen an die Behörde weiterleiten? Wie neutral sind solche Portalgründer, wenn sie sich nur für Meldungen interessieren, die mit Kritik an der eigenen Position zu tun haben?

Die Hamburger Schulen sind demokratisch gefestigt, sodass sie selbst dazu in der Lage sind, mit Abweichungen vom Beutelsbacher Konsens konstruktiv umzugehen. Ein offenes Gespräch zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen hilft sicherlich mehr als das Denunzieren von Menschen mit anderen Meinungen. Wozu das systematische Denunzieren führen kann, hat die deutsche Vergangenheit leider zur Genüge in abschreckender Weise gezeigt.

Die Gründung solcher Portale zeigt deutlich, dass deren Macher geprägt sind vom Misstrauen gegenüber dem Staat, seinen Institutionen, Angestellten und Beamten, dass sie durch öffentliche Provokationen gesellschaftliche Konflikte schüren wollen, um den politischen Diskurs zu den eigenen Gunsten zu verschieben und politische Gegner gezielt einzuschüchtern.
Das Gymnasium Corveystrasse lehnt als Schule mit einem Demokratieschwerpunkt und als Schule ohne Rassismus, solche Meldeportale als Zensurversuch, als Aufforderung zum Denunziantentum und als politische Unkultur entschieden ab und fordert von der Behörde, dass sie die Lehrer*innen aller Schulen vor solchen Angriffen umfassend schützt.

Info-Kasten:

Beutelsbacher Konsens

Dabei handelt es sich um Grundsätze, die Wissenschaftler und Lehrer für Politik gemeinsam bei einer Tagung in Beutelsbach (Baden-Württemberg) 1976 für den Politikunterricht festgelegt haben.
Die drei Grundsätze sind:
Überwältigungsverbot: Die Schule hat die Aufgabe, Schüler/innen zu mündigen Bürgern heranzubilden, die sich eine eigene Meinung bilden können; deshalb dürfen Lehrer/innen ihnen nicht ihre politische Meinung aufzwingen.
Kontroversität: Lehrer/innen müssen zu einem Thema verschiedene Standpunkte darstellen, wenn es auch in der Politik und Wissenschaft unterschiedlich diskutiert wird.
Schülerorientierung: Der Unterricht soll die Schüler in die Lage versetzen, dass sie die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position analysieren und sich aktiv am politischen Prozess beteiligen können sowie nach Mitteln und Wegen suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen.

Hamburger Schulgesetz (1997, letzte Änderung 2018)

§ 2 Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule
(1) Unterricht und Erziehung richten sich an den Werten des Grundgesetzes und der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg aus. Es ist Aufgabe der Schule, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen und ihre Bereitschaft zu stärken,

> ihre Beziehungen zu anderen Menschen nach den Grundsätzen der Achtung und Toleranz, der Gerechtigkeit und Solidarität sowie der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen,
> an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen sowie für die Gleichheit und das Lebensrecht aller Menschen einzutreten,
> das eigene körperliche und seelische Wohlbefinden ebenso wie das der Mitmenschen wahren zu können und
> Mitverantwortung für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt zu übernehmen.