Zweitzeugen: Projekttage in Jahrgang 8
In der Woche vom 5. bis 9. Dezember 2022 hat an unserer Schule nun zum zweiten Mal das Projekt „Zweitzeugen“ in den 8. Klassen stattgefunden. Einen ganzen Schultag lang haben sich die 8. Klässler*innen mit verschiedenen Lebensbiographien von Holocaust-Überlebenden beschäftigt und wurden zu sogenannten „Zweitzeugen“ ausgebildet.
Der Verein ZWEITZEUGEN aus Nordrhein-Westphalen hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen das Vergessen einzutreten. Für dieses Projekt schickt der Verein ehrenamtliche Teamer*innen in die Schulklassen und vermittelt auf diese Weise die Geschichten der Überlebenden an die nächste Generation. Solche Berichte aus zweiter Hand sind heutzutage notwendig geworden, weil die Zeitzeugen selbst ihre Geschichten nicht mehr erzählen können.
Im Rahmen des Projekttages haben die Schüler*innen vertiefte Einblicke in das Leben junger Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus gewinnen können. Mit einer Lebensbiographie haben sie sich jeweils im Detail beschäftigt. Es sind Geschichten wie die von Chanouch Mandelbaum, dessen Stationen im Leben über Fotografien und Audioaufnahmen für die Teilnehmenden sehr real erscheinen. Am Ende hatten die Schüler*innen die Gelegenheit, ihre Gedanken in Briefen an die Überlebenden festzuhalten, welche über den Verein im Folgenden an sie persönlich oder an die jeweiligen Hinterbliebenen weitergeleitet werden.
Als „Schule ohne Rassismus“ werden wir diese Projekttage für die nächsten drei Jahre weiter an unserer Schule durchführen, haben mit dem Verein ZWEITZEUGEN eine feste Zusammenarbeit abgeschlossen und sind ab sofort offiziell eine „Zweitzeugenschule“, die die Erinnerung an die Überlebenden des Holocaust wachhält.
Die Projekttage haben alle Beteiligten bewegt. Die Schülerinnen Rosalie und Charlotte (S3) waren als Reporterinnen zu Besuch im Workshop der Klasse 8e und haben über ihre Eindrücke zum Zweitzeugenprojekt einen Artikel geschrieben, den Ihr unten lesen könnt. Viel Spass dabei!
Das Gymnasium Corveystrasse bedankt sich an dieser Stelle ganz herzlich bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, der Bürgerstiftung Hamburg und der Ben-Gurion-Stiftung, die mit ihren großzügigen Spenden die Finanzierung und somit die Umsetzung des Projektes erst ermöglicht haben!
Andreas Fischer
Koordinator Demokratieschwerpunkt
Das Zweitzeugenprojekt am Corvey
Zwei Schülerinnen machen sich Gedanken
Von klein an scheint allen bewusst zu sein, welch hoher Stellenwert dem Thema „Nationalsozialismus“ zukommt und in unserer Gesellschafft scheint es vorausgesetzt zu sein, dass alle wissen, was ein bewusster Umgang damit ist – der es ihnen auch selbst ermöglicht, dafür eigene Worte zu finden. Die Lehrpläne sehen dieses Thema erst Ende der 9. der Anfang der 10. Klasse im Geschichtsunterricht vor und in diesen wenigen Wochen soll die gesamte Bedeutung umfangreich vermittelt werden. Meist bleibt es dann dabei, Jahreszahlen und wichtige Daten auswendig zu lernen – für Gefühle und die Reflexion auf das eigene Handeln gibt es kaum Platz. Dabei ist allen bewusst, dass es vor allem in Deutschland wichtig ist, sich immer wieder damit zu befassen und einen richtigen und respektvollen Umgang mit der Vergangenheit zu erlernen. Darüber zu sprechen, scheint nicht nur uns SchülerInnen schwerzufallen, sondern auch den LehrerInnen und Eltern.
Das Projekt Zweitzeugen ist sich der Sprachlosigkeit bewusst und setzt es sich selbst als Ziel, uns Jugendliche auf andere Weise an das Thema heranzuführen. Mit persönlichen Geschichten von Holocaust-Überlebenden werden die teilnehmenden SchülerInnen ermutigt, sich nicht nur mit Fakten zu beschäftigen, sondern sich auch ihrer persönlichen Gefühlsebene bewusst zu werden. „Werde Zweitzeuge“ ist das Konzept des Vereins Zweitzeugen e.V., um die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
„Was hat dich besonders berührt?“ – Fragen wie diese eröffnen einen Raum, das Gehörte zu reflektieren und auch mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Anstatt einfach auswendig zu lernen, was passiert ist, unterstützt einen das Zweitzeugen Projekt, sich zu fragen, welche Bedeutung die Lebensgeschichten für unser Zusammenleben haben. Oft wird man im Geschichtsunterricht durch die knappe Zeit und die Vielzahl an Eindrücken von den Inhalten erschlagen und selten bleibt eine Möglichkeit zur Antwort auf die Frage, warum wir heute überhaupt noch darüber sprechen sollten. Genau diese Frage greift das Zweitzeugenprojekt auf und lässt individuelle Antworten zu. Dadurch, dass sich die Schule einen ganzen Tag für dieses Projekt Zeit nimmt, wird die Relevanz und Bedeutung dieses Themas für die SchülerInnen deutlich. Gleichzeitig entsteht ein Raum, in dem auf Augenhöhe geredet werden kann, wodurch die Sprachlosigkeit, die mit dem Thema verbunden ist, endlich gebrochen wird.
Dadurch, dass die Chance gegeben ist, bei offenen Fragen eigene Gedanken zu äußern, werden die SchülerInnen ermutigt, sich immer mehr selbstständig Gedanken zu machen. Denn bereits jüngeren SchülerInnen ist bewusst, dass diesen Lebensgeschichten mit Respekt und Demut begegnet werden sollte, aber Zweitzeugen e.V. lässt den Schülerinnen die Möglichkeit, wirklich zu verstehen, warum diese Gefühle zu dem Thema so wichtig sind.
Neben der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wurde die Aktualität von Antisemitismus in der heutigen Zeit eindrücklich anhand eines aktuellen Beispiels dargestellt: Ein Zitat mit antisemitischem Inhalt wurde vorgelesen und zwei Personen zugeordnet. Zur Auswahl standen Björn Höcke von der AfD und Adolf Hitler. Als die Mehrheit der SchülerInnen das von Björn Höcke stammende Zitat Hitler zuordnen wollte, zeigte sich, wie präsent Antisemitismus in Deutschland immer noch ist.
Auch kann ein Verein, der sich maßgeblich mit Antisemitismus beschäftigt, die SchülerInnen mit antisemitischen Situationen konfrontieren und dabei helfen, diese einzuordnen. Zum Beispiel wurden den SchülerInnen verschiedene Memes gezeigt, die deutlich machen, wie versteckt Antisemitismus auftreten kann. Zweitzeugen e.V. schafft es, diesen Zusammenhang zwischen Geschichte und der heutigen gesellschaftlichen Situation deutlich hervorzuheben. Genau für diesen fächerübergreifenden Gedanken ist in unserem Schulalltag noch zu wenig Platz.
Das Zweitzeugen Projekt sollte am Corvey langfristig etabliert werden, weil es unserer gesamten Schule den Wert der ständigen Auseinandersetzung mit dem Thema vermittelt. Es schafft den Platz und Raum, den es braucht, damit sich die SchülerInnen tief und reflektiert mit der Geschichte und ihren Auswirkungen auf die heutige Zeit beschäftigen. Um gegen Antisemitismus vorzugehen, ist es wichtig, Zusammenhänge zu erklären und Emotionen und Gefühle zuzulassen und darüber zu sprechen. Zweitzeugen e.V. vermittelt die Lebensgeschichten der Holocaust Überlebenden mit der klaren Aufforderung, sich aktiv mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Mit dem regelmäßigen Einbringen des Projektes in den Schulalltag beschäftigt sich auch das Covey damit, wie mit der Geschichte umgegangen werden kann und schreibt dem Thema den hohen Stellenwert zu, den es braucht.
Charlotte und Rosalie (S3)