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Entwicklungszusammenarbeit in der Kritik — ein Experte zieht Bilanz

Es ist Montag, noch in der zweiten Pause und die Mehrheit des 12. Jahrgangs hat sich im Konferenzraum versammelt. Hin und wieder Gekritzel, Notizblöcke, einige von uns haben Fragen vorbereitet, wir wollen sie Herrn Gruszczynski stellen. Der Geografielehrer Thomas Wolf hat ihn eingeladen, auf Empfehlung eines Fachautoren. Es war ihm wichtig, für den Vortrag eine möglichst unabhängige Person, ohne Werbeantrag zu gewinnen. Herr Gruszczynski hat über zehn Jahre selbst für verschiedene Entwicklungsorganisationen gearbeitet, sowohl für staatliche als auch für NGOs, bevor er sich, fast schon resigniert, von den Projekten zurückzog. Nun tritt er für eine Wende in der Entwicklungspolitik ein. 

Doch heute geht es nicht um das vehemente Verbreiten von Forderungen, sondern vielmehr darum, durch Gruszczynskis Erfahrungen neue, nähere Perspektiven zur sogenannten „Entwicklungszusammenarbeit“, insbesondere in Afrika, zu vermitteln, eine gute Ergänzung zu den Semesterthemen in Geografie (globale Disparitäten) und Politik (internationale Politik). Vor Schülern gesprochen hat Gruszczynski noch nie, doch er gibt sich Mühe, sich auf das ungewohnte Publikum einzustellen. 

Zunächst geht es Gruszczynski um ein Grundverständnis der „Afrikanischen“ Mentalität und gesellschaftlichen Beschaffenheit. Er habe zwar auch viele sehr fähige Menschen getroffen, während seiner Tätigkeit, sei aber in jedem Projekt immer irgendwann auf Korruptions- und Misswirtschaftsprobleme gestoßen. Daraus ergäben sich viele weitere Probleme, so spricht Gruszczynski zum Beispiel das mangelnde Interesse vieler Staaten an der Unabhängigkeit von Drittmittel an, weil sich ein erheblicher Anteil des Staatshaushaltes daraus zusammensetzt. Das unterbinde einen Willen zu Veränderungen, die gleichzeitig auch zum Wegfallen dieser Gelder führen würde. Auch viele Drittstaaten hätten kein Interesse an einem großen Aufschwung der afrikanischen Wirtschaft, auch ihnen kommt der Rohstoffimport zu guten Konditionen zu Gute.

Gruszczynski stellt ein weiteres wesentliches Problem fest: die Kommunikation und Organisation der Projekte. Da sei nicht nur die Gefahr, dass die Gelder in den Privattaschen der für die Koordination oft hinzugezogenen, ortsansässigen Oberschicht landeten, sondern es bestehe auch seitens der investierenden Organisationen häufig eine ineffiziente Reaktion auf die tatsächliche Nachfrage an Ausbildung und Gütern. Oft sei es auch hinderlich, wenn der Impuls für ein Projekt nicht von der Bevölkerung voll unterstützt werde. Dann passiere es schon einmal, dass Geld dort eingesetzt wird, wo man es gar nicht braucht oder Berichte, des Images wegen, positiver ausfallen als sachlich korrekt. Immer wieder werden auch kulturelle Unterschiede thematisiert, ein Gebiet, von dem Gruszczynski als erfahrender Afrikareisender mit Respekt und auch einer guten Portion Faszination erzählt.

Am Ende ist noch Zeit für unsere Fragen, besonders intensiv wird über „Hilfe zur Selbsthilfe“ Prinzipien diskutiert, über Handelszölle und unser europäisches Mindset (insbesondere den „Willen zu helfen“). Viele von uns planen nach der Schule ins Ausland zu gehen, deshalb hat das Thema des Freiwilligendienstes in Entwicklungsländern zumindest meinen Kurs im Nachhinein sehr beschäftigt. Obwohl Gruszczynski uns vorher davor gewarnt hat, uns durch seinen Vortrag die wertvolle Auslandserfahrung nicht nehmen zu lassen, war er für viele ein Anstoß, ihr Vorhaben noch einmal zu überdenken. Insbesondere gilt es für uns zu klären, ob wir qualifiziert sind für die Tätigkeit, ob sie sinnvoll und zweckmäßig ist, ob eine Abhängigkeit erzeugt wird, ob sie auf Initiative der Bevölkerung geschieht und ob wir unsere Auslandserfahrung in den Fokus stellen wollen, oder lieber anderswo effektiver helfen, zum Beispiel als FSJler oder FÖJler.Trotz vieler negativer Erfahrungen und einer erschütternden Bilanz, schließt der Vortrag mit zwei Positivbeispielen, Ruanda und Botsuana. Das sei auch für ihn selbst gut, erzählt Gruszczynski im Nachhinein, denn oft fühle er sich nach so einem Vortrag angesichts dieser großen Probleme selbst ganz desillusioniert und pessimistisch.

Lili Kacirek, S3